Alles auf Anfang? Reintegration im Herkunftsland

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Die Reintegration im Herkunftsland ist kein Selbstläufer, die Herausforderungen sind groß und es braucht starke Nerven, Kompetenzen, Planung und ein bisschen Glück, um gut wieder anzukommen. Wie Sie unterstützen können, erfahren Sie in dieser Lektion.

© iStock / Getty Images Plus / badmanproduction

Ferhad ist im Irak angekommen, für den Anfang wohnt er bei seinem Cousin. Einer seiner ersten Wege führt ihn zum Büro der IOM, der Internationalen Organisation für Migration. Dort hat er einen Termin zur Absprache des weiteren Vorgehens vereinbart, es soll auch um Unterstützung im Bereich Wohnen gehen. Aus der Beratung in Deutschland und den Internetrecherchen, bei denen Gabi ihn viel unterstützt hat, weiß er, dass er mit dem Geld zumindest seine Miete zahlen könnte, bis er einen Job findet und auf eigenen Beinen steht. Er will so schnell wie möglich arbeiten und kontaktiert einige Leute, die er kennt. Aber er merkt auch schnell, dass sich vieles verändert hat und nicht alle ihn willkommen heißen.


Einfach wieder da?

Forschungserkenntnisse machen deutlich, dass es eher selten ein einfaches Weitermachen oder Wiederaufnehmen der vorherigen Situation ist, was Menschen nach ihrer Rückkehr erleben. Rückkehr ist in diesem Sinne nicht als Abschluss, sondern als Anfangspunkt eines neuen Lebensabschnittes zu verstehen. Neben den offensichtlichen Aspekten − Wohnen, Arbeiten, Absicherung etc. − warten auch ganz andere Herausforderungen auf die Zurückgekehrten. Denn das Leben im Herkunftsland ist selbstverständlich nicht stehen geblieben, sondern vieles hat sich verändert. Das gilt insbesondere, wenn Gesellschaften durch gemeinsame Erfahrungen in Krisensituationen geprägt sind, an denen die Rückkehrer*innen durch ihre Abwesenheit nur indirekt beteiligt gewesen sind. Und auch bei den Rückkehrer*innen selbst hat sich seit dem Zeitpunkt ihrer Ausreise in der Regel viel getan:

“Etwas, das ich nicht bedacht hatte, war, dass auch ich mich in den fünf Jahren meiner Zeit in Dänemark radikal verändert hatte. Aber das bemerkte ich erst, als ich zurück in meinem Heimatland war.” − Natik, Irak.


Quelle:

UNHCR.pdf - 151.35 KB

Ein Stigma?

Problematisch kann es auch sein, wenn Familienangehörige, Freund*innen oder Bekannte der zurückgekehrten Person skeptisch gegenüberstehen: Sie haben die Zeit in ihrer Heimat durchgestanden, während die Person der Situation entflohen ist. Das kann besonders hart sein, wenn die Bürden der Flucht und der unerfüllten Erwartungen im Aufnahmeland die Person selbst belasten und sie eigentlich ihrerseits wiederum emotionale Unterstützung benötigt. In Afghanistan beispielsweise bezeichnete der Präsident Menschen, die geflüchtet (und nun zurückgekehrt) waren, als unpatriotisch. Sich darauf vorzubereiten, eventuell nicht (nur) mit offenen Armen empfangen zu werden, ist also wichtig.

Wie in der Lektion "Den Blick nach vorn? Perspektiven entwickeln" erläutert, kann ein anderer Blick auf die eigene Geschichte helfen, um sich von diesen negativen Einflüssen nicht deprimieren zu lassen und weiter an sich zu glauben. Aus den Erlebnissen anderer Menschen und deren Erfolgsgeschichten Inspiration zu ziehen, ist hierbei eine Möglichkeit. Dieses Video erzählt kurze Geschichten von einigen, die es geschafft haben, wieder anzukommen.

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Reintegration oder Remigration?

Es ist klar: Die Reintegration im eigenen Herkunftsland ist auch kein Selbstläufer. Die Herausforderungen sind groß und es braucht einiges an Nervenstärke, an Kompetenzen, gute Planung und ein bisschen Glück, um sich wieder gut einzufinden. Für einen nicht unerheblichen Teil ist es wegen all der Hürden auch eine Option, sich wieder auf den Weg zu machen und es erneut zu versuchen.

Eine Studie des BAMF hat ergeben, dass 60% der Befragten eine erneute Migration nicht ausschließen: Jene, die sich am Rückkehrort nicht sicher fühlen oder keine Arbeit gefunden haben, haben eine höhere Bereitschaft, das Land bzw. die Region erneut zu verlassen. 12% aller Studienteilnehmenden wollen unter allen Umständen weiterwandern. Die Absichten bleiben hierbei vage.

Die Datei der BAMF Studie können Sie hier herunterladen:

fb34-evaluation-starthilfeplus.pdf - 5.43 MB

Aus Erfahrungen lernen

Wir haben für Sie Berichte und Aussagen von Menschen, die eine Rückkehr hinter sich haben, gesammelt, denn aus den Erfahrungen anderer Menschen kann man viel lernen.

Auf der Internetseite der Internationalen Organisation für Migration (IOM) finden Sie einen Erklärfilm (mit deutschen Untertiteln) und einige Stimmen aus dem Projekt Integrierte Reintegration im Irak. Nazek I. hat an dem Programm teilgenommen und konnte mit der finanziellen Unterstützung des IOM nach ihrer Rückkehr in den Irak Schafe kaufen und so in eine Schafzucht mit einsteigen.

“Durch die Doppelrolle als Haus- und Geschäftsfrau habe ich ein neues Selbstbewusstsein gewonnen” − Nazek I.


Auch Aram A. ist ein freiwilliger Rückkehrer, der im Rahmen des IOM-Projektes bei der eigenständigen Geschäftsgründung eines Schuhladens in Sulaimaniyya unterstützt wurde. Weitere Berichte finden Sie auf der Seite des Projekts Integrierte Reintegration im Irak.

Die Rückkehrgeschichten von Nazek I. und Aram A. können Sie hier herunterladen:

Story-of-Return-Nazek-I_de.pdf - 615.65 KB

„Zurück in ihren Herkunftsländern werden Rückkehrende in ihrem Umfeld häufig als Verlierer wahrgenommen. Sie starten bei Null, auch weil sie meist ihre Ersparnisse für die Flucht ausgeben mussten“, sagt Jörg Fürstenberger von Social Impact. „Wir wollen sie unterstützen, sich Perspektiven für einen Neuanfang zu eröffnen.” Dafür hat Social Impact das Programm „StartHope@Home“ zur Unterstützung derjenigen gestartet, die selbst in ihrem Herkunftsland etwas gründen wollen. Stephen zum Beispiel kehrte aus Deutschland nach Ghana zurück und wurde von Social Impact in Duisburg gecoacht. Er fährt nun erstmal Taxi und bereitet die Inbetriebnahme einer Plantage vor: „Sobald die erste Ernte fertig ist und ich genug verkauft habe, werde ich das Taxifahren reduzieren und mich ausschließlich um die Plantage kümmern. Business in Ghana ist gut, aber du musst hart arbeiten, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen“, sagt er.


Das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) von der Gesellschaft für Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützte Apekshya Dhungel bei ihrem Schritt von Freising nach Kathmandu. Die Landschaftsarchitektin mit deutschem Masterabschluss ist eine von bereits rund 15.000 Fachkräften, die das CIM seit 1980 bei der Rückkehr in ihre Herkunftsländer unterstützt hat. Das CIM ist eine Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit.

Wie kann Reintegration gelingen?

Eine Erfolgsgarantie kann es nicht geben und ein Erfolgsrezept entsprechend auch nicht. Sich aber anzuschauen, wie die Erfahrung anderer Menschen war, und daraus Schlüsse zu ziehen, bringt eine Liste an Kriterien hervor, die Orientierung geben kann.


Wirklich wichtig ist …

  • sich vorher bewusst zu werden, wie sich das Heimatland seit der Flucht verändert hat. Hierbei ist darauf zu achten, sich aus verschiedenen Quellen zu informieren. Zu dieser Recherche können Sie gegebenenfalls etwas beitragen, die potentiell zurückkehrende Person aber auch dahingehend bestärken, von mehreren Menschen verschiedener Funktionen im Herkunftsland Informationen einzuholen.
  • sich bewusst zu machen, dass man sich auch selber durch die Flucht und durch das Leben im Aufnahmeland geändert hat – persönlich, kulturell etc. Überlegen Sie gemeinsam, welche Herausforderungen es dadurch gibt und was dies an neuen Blickwinkeln, Qualifikationen(!) und Chancen mit sich bringt.
  • schon vorher Kontakte zu knüpfen zu Verwandten und Freund*innen und Netzwerke zu reaktivieren, damit man sich bei der Ankunft nicht zu sehr entfremdet fühlt und die Herausforderungen nicht allein bewältigen muss.
  • den Ausreisezeitpunkt selbst wählen zu können (oder zumindest Einfluss zu nehmen, wenn es irgendwie geht), um sich darauf vorzubereiten (bzw. insgesamt das Level an Selbstbestimmung so weit wie möglich auszunutzen und auszubauen).
  • für Familien, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder in die Ausreiseentscheidung mit einzubeziehen.
  • sich darauf einzustellen, dass die Reintegration länger dauern wird und psychosozial belastend sein kann. Sie können unterstützend dahingehend wirken, dass schon vor der Ausreise passende Selbstfürsorge- und Entspannungstechniken und -Strategien gefunden und ausprobiert werden.
  • sich vor der Ausreise der eigenen Kompetenzen und Erfahrungen bewusst zu machen und sich einen möglichst konkreten Plan vor der Ausreise zur Weiterqualifizierung oder zum Berufseinstieg im Herkunftsland zu machen.

Unterstützung im Herkunftsland

Neben der IOM, der Internationalen Organisation für Migration, gibt es noch weitere Organisationen, die auch im Herkunftsland aktiv sind. Hier finden Sie drei Beispiele, auf deren Angebote und Strukturen Rückkehrende in ihrer Heimat zurückgreifen können.

DVV International

Der DVV möchte mit seinem Projekt “Bildungsbrücken bauen” rückkehrinteressierte Geflüchtete dazu ermutigen, sich schon vor der Rückkehr mit ihren Kompetenzen und Stärken auseinanderzusetzen. Die in Deutschland begonnene Weiterbildung soll auch in den Herkunftsländern fortgesetzt werden. DVV International, das Internationale Institut des Deutschen Volkshochschul-Verbands, bietet dazu gemeinsam mit einem Netzwerk an lokalen Partner*innen Bildungsmöglichkeiten in 30 Ländern weltweit, so zum Beispiel Alphabetisierungskurse für Frauen in Afghanistan oder Sprachkurse, Kurse in ökonomischer und politischer Grundbildung und Existenzgründerprogramme in Marokko.

Social Impact

Mit dem Programm “StartHope@Home” möchte Social Impact, eine “Agentur für soziale Innovation” Menschen bei der Gründung ihrer eigenen kleinen Unternehmen beraten. In Deutschland gibt es hierfür mehrwöchige Kurse, zum Teil aber auch kürzere und spontane Angebote. Social Impact begleitet die Menschen über diese Kurse hinaus auch nach der Rückkehr weiter, beispielsweise durch Coachings in den Herkunftsländern.

GIZ

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt Rückkehrende dabei, Perspektiven für ein sicheres und wirtschaftlich stabiles Leben nach der Rückkehr zu schaffen. In verschiedenen Herkunftsländern gibt es sogenannte Migrationsberatungszentren. An diese können sich Rückkehrende wenden, um Hilfe bei der eigenen Qualifizierung, Jobsuche, Unternehmensgründung, aber auch bei psychosozialen Problemen zu bekommen. Die Angebote richten sich aber nicht nur an Rückkehrer*innen, sondern auch an die in den jeweiligen Ländern lebenden Menschen. Weitere Informationen dazu gibt es über die Reintegrationsscouts: https://www.startfinder.de/de/informationen-fuer-beratende

In das Herkunftsland zurückzukehren, ist in vielerlei Hinsicht eher ein Anfangs- als ein Endpunkt eines Lebensabschnittes. Die Herausforderungen können groß sein und viele Studien und Erfahrungsberichte weisen darauf hin, dass es besonders wichtig ist, so gut vorbereitet zu sein wie möglich. Hierauf sollten Sie sich in der Zeit vor der Rückkehr konzentrieren! Es gibt mehrere Unterstützungs- und Beratungsmöglichkeiten, die sowohl in Deutschland, als auch in vielen Herkunftsländern arbeiten und so einen großen Teil des Rückkehr- bzw. Reintegrationsprozesses begleiten können.



Autorenbild

Jannik Veenhuis hat Islamwissenschaften und Geschichte studiert und arbeitet als Referent und Moderator zu den Themen Migration, Integration, Islam und gesellschaftliche Debatten. Er war für den DVV und DVV International als Experte und Trainer an der Konzeption und Umsetzung der Lehrkräfte-Fortbildung „Bildungsbrücken bauen – interkulturellen und psychosozialen Herausforderungen im Unterricht mit rückkehrinteressierten Geflüchteten kompetent begegnen“ beteiligt. Für das im Rahmen des BMZ-Programms „Perspektive Heimat“ durch die GIZ geförderte Projekt „Bildungsbrücken bauen – Weiterbildung für Rückkehrer*innen“ hat er auf dem vhs-Ehrenamtsportal die Themenwelt „Rückkehr ins Herkunftsland“ erstellt.

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Reintegration im eigenen Herkunftsland

Wissen Sie, wie es den Menschen, die Sie ehrenamtlich begleitet haben, nach der Rückkehr im Herkunftsland ergangen ist? Hatten die Rückkehrenden Unterstützung von den oben genannten Organisationen erhalten? Wie ist Ihre Erfahrung? Teilen Sie sie uns mit.