Wie sind Andere kulturell geprägt? – Von Gemeinsamkeiten und Unterscheidungen

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In der Begegnung mit Geflüchteten treffen Sie auf ungewohntes Verhalten und dadurch entstehen unterschiedliche Regungen: Überraschung, Irritation, Neugier, Konflikte, Freude. Um Geflüchtete besser zu verstehen, sollten Sie sich die Frage stellen: Welche Gemeinsamkeiten teilen wir und welche Unterschiede gibt es? Hier bekommen Sie Einblick in Fallbeispiele mit interkulturellen Konfliktsituationen.

Welches sind Ihrer Meinung nach die vier wichtigsten HERKUNFTSLÄNDER?
Welches sind Ihrer Meinung nach die vier wichtigsten AUFNAHMELÄNDER?

In den Medien wird es oft so dargestellt, als würde Europa – und vor allem Deutschland – die Hauptlast als Aufnahmeländer übernehmen. In der Realität ist es aber so, dass vor allem Nachbarländer von Konfliktherden die meisten Geflüchteten aufnehmen.  

Ein Großteil der Geflüchteten kommt aus der arabischen Welt. Sie teilen viel, unter anderem auch die verbindende Religion des Islam, es gibt aber auch kulturelle Unterschiede. So unterscheiden sich die Länder des Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien) und Länder des sogenannten „fruchtbaren Halbmondes“ wie Syrien erheblich von den Ländern auf der arabischen Halbinsel (beispielsweise Saudi-Arabien) oder von den Ländern auf dem afrikanischen Kontinent (zum Beispiel Ägypten). Es ist auch wichtig zu wissen, dass nicht alle Araber Muslime sind. Gerade in Syrien leben viele Christen. Außerdem sprechen auch nicht alle Menschen aus der Region die arabische Sprache. 

Eine Zusammenstellung was Deutsche am syrischen Alltag ungewöhnlich fänden, hat Firas Alshater in seinem Kanal auf YouTube vorbereitet. Reinschauen lohnt sich.    

Hier bekommen Sie einen Einblick in kulturelle Gewohnheiten und Praktiken, aber keine Handlungsanleitung und keinen Knigge für den Umgang mit SyrerInnen, IrakerInnen oder EritreerInnen. Machen Sie sich vor dem Hintergrund dieser Informationen ein eigenes Bild und finden Sie durch Nachfragen und Beobachten heraus, was Geflüchtete bewegt und warum sie sich so oder anders verhalten. Im arabischen Kulturraum gibt es große Unterschiede: Syrien ist nicht gleich dem Irak – genauso wie Deutschland nicht gleich Tschechien ist. Darüber hinaus gibt es auch innerhalb der Länder sehr große Unterschiede: Welche Stadt, welche Region? Stadt oder Land? Auch das Milieu ist wichtig: Ist es modern liberal, ist es eher traditionell und religiös geprägt?  

Wenn wir darüber sprechen, ein besseres Verständnis der kulturellen Hintergründe von Geflüchteten zu bekommen, muss man immer zwei Dinge im Blick haben: Welche Gemeinsamkeiten teilen wir und welche Unterschiede gibt es zwischen uns? Bedenken Sie dabei aber: Ein Verstehen fremdkulturellen Verhaltens und Handelns ist nur bedingt, also niemals vollständig möglich. Andersartigkeit ist gleichzeitig eine Quelle für Missverständnisse, Spannungen, Überraschungen und Faszination.  

Was ist bezeichnend für Länder der arabischen Welt?

Was ist bezeichnend für Länder der arabischen Welt?

Gastfreundschaft hat einen hohen Stellenwert in arabischen Kulturen und es wird vorkommen, dass Ihnen Getränke mehrfach angeboten werden. Nicht sofort „Ja“ zu sagen gehört zum guten Ton. Es stößt aber auf Unverständnis, wenn eine Einladung zu einem gemeinsamen Abend ganz abgelehnt wird, zumal Gastfreundschaft eng mit dem eigenen Ansehen verknüpft ist. (Copyright: Mariam Soliman/unsplash.com/CC0) 

Nicht alles in der ehrenamtlichen Arbeit mit Geflüchteten läuft reibungslos. Wie in jedem anderen menschlichen Miteinander entstehen Missverständnisse und Konflikte. Was sind die Ursachen dieser Konflikte? Welche Rolle spielt Kultur dabei? Und wie kann man die Konflikte angehen?   

In Konflikten versuchen wir uns das Verhalten anderer zu erklären – dies ist einer der grundlegendsten Prozesse in unserem Gehirn. Zur Erklärung von Konflikten haben wir  verschiedene Kategorien zur Auswahl:   

  • Es liegt an der Situation, dass X sich so verhält.
  • Es liegt an der Person, also an X selbst.
  • Treffen Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Gruppen zusammen – sei es ein/eine BayerIn auf einen/eine BrandenburgerIn oder ein/eine IrakerIn auf einen/eine Deutsche/-n - dann ist es notwendig, dieses Repertoire um die Kategorie Kultur zu erweitern.   

Die Ursache des Konflikts kann also auch darin begründet liegen, dass X anders geprägt ist als ich. Vielleicht streiten wir gar nicht um die Sache oder vielleicht verstehen wir uns als Personen eigentlich gut, kommunizieren aber kulturell bedingt unterschiedlich (verbal oder non-verbal) und reden deshalb aneinander vorbei. Meist ist es eine Mischung, ein Wechselspiel aus den drei Seiten des Dreiecks Person-Situation-Kultur.   

Was dies für die Arbeit mit Geflüchteten bedeutet, sehen Sie an den folgenden Praxisbeispielen:   

Fallbeispiel Deutschkurs

Frau Nowak engagiert sich ehrenamtlich in ihrer Kirchengemeinde und gibt jeden Mittwoch einen Deutschkurs für Geflüchtete. Seit einigen Wochen nehmen auch drei geflüchtete Frauen aus Syrien an dem Training teil. Jalila, Mina und Samira wohnen in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Nähe der Kirchengemeinde. Sie kommen regelmäßig zum Kurs, verspäten sich aber oft um mindestens 20 Minuten. Frau Nowak empfindet das Zuspätkommen der Kursteilnehmerinnen als störend, weil dies viel Unruhe in die Gruppe bringt, zu zeitlichen Verzögerungen im Kursablauf führt und sie den Stoff nicht schafft, den sie sich vorgenommen hat.  

Was denken Sie, warum Jalila, Mina und Samira öfter zu spät zum Deutschkurs kommen? Stimmen Sie ab.

 

Achtung vor der kulturalistischen Falle! Versuchen Sie bei Konflikten immer alle Seiten zu sehen und widerstehen Sie der Versuchung der einfachen Erklärungen. Kultur erklärt nicht alles! Ob es eine kulturell bedingte Erklärung eines Konfliktes gibt oder ob es doch eher an Situation, Person, dem Streitpunkt an sich gelegen hat, lässt sich am besten durch Beobachten und Nachfragen herausfinden. Oder beraten Sie sich auch mit anderen Ehrenamtlichen, die schon ähnliche Situationen erlebt haben.  

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

In Ihrer ehrenamtlichen Arbeit haben Sie viele unterschiedliche Geflüchtete kennengelernt. Überlegen Sie: Was verbindet Sie? Und worin unterscheiden Sie sich? Durch die ehrenamtliche Arbeit entdecken Sie kulturelle Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten. Beides hat seine Berechtigung und ist für das voneinander und übereinander Lernen wichtig. Häufig wird bei interkulturellen Begegnungen vor allem auf das geschaut, was uns voneinander unterscheidet. Das führt zu Ausgrenzung und gemeinsame Interessen und Ziele bleiben außen vor. Oder es gibt die umgekehrte Tendenz, dass Unterschiede nicht gesehen werden wollen nach dem Motto „Alle Menschen sind doch gleich“.  

Warum ist es aber wichtig auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede gleichermaßen zu schauen?   

Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Copyright: Meike Woller/eigene Darstellung)

Unterschiede zu begreifen fängt damit an, dass man sie wahrnimmt. Danach folgt ihr Verstehen und als letzter Schritt ist die Wertschätzung möglich. Unterschiede anzuerkennen, heißt nicht, sie als besser oder schlechter zu bewerten. Denn jeder kulturelle Wert hat Vor- und Nachteile, je nachdem wer und aus welcher Perspektive man auf ihn schaut.   

Denken Sie bei Ihrer ehrenamtlichen Arbeit immer Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit: Welche gemeinsamen Interessen oder Ziele gibt es zwischen Neu- und Altbürgern? Diese könnten das gemeinsame Interesse für Fußball, fürs Nähen, die Liebe für die Musik oder ein gemeinsames Ziel sein, beispielsweise ein interkulturelles Nachbarschaftsfest zusammen zu organisieren. Haben Sie eine gemeinsame Grundlage gefunden, können Sie auch auf Unterschiede schauen und dadurch viel Neues lernen.  

Was ist mir wichtig? Das Spannungsfeld zwischen Offenheit und eigenen Grenzen kennenlernen

Beim interkulturellen Lernen geht es nicht nur um Offenheit und Toleranz für andersartiges Verhalten. Es geht darum, die eigenen (Toleranz-)Grenzen kennenzulernen und zu hinterfragen: Was ist mir wichtig? Welche von meinen Ansichten sind nicht verhandelbar und welche schon?  Sie arbeiten mit Geflüchteten zusammen, bieten Deutschunterricht an, leiten Musik- oder Kreativgruppen, helfen bei Behörden-Terminen oder organisieren Veranstaltungen. Dabei gibt es viele Erwartungen und Regeln – einige davon ausgesprochen, andere nicht – die ihre Grundlage in den jeweiligen Wertvorstellungen haben.    

Was heißt das konkret?   

Fallbeispiel Karateverein

Jürgen leitet seit Jahren eine Karategruppe in seinem Sportverein. Seit Kurzem hat er das Angebot für Geflüchtete geöffnet und es kommen einige Männer aus der nahegelegenen Unterkunft. Abgesehen von Verständigungsschwierigkeiten gibt es einige weitere Stolpersteine. Er holt sich Rat bei einer befreundeten Übungsleiterin, die schon länger Angebote für Geflüchtete durchführt. Gemeinsam überlegen sie, welche Erwartungen Jürgen an die Geflüchteten hat und welche ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln es bei seinem Sportangebot gibt:

  • Alle müssen pünktlich sein, da das Training mit einem gemeinsamen Gruß (Za-Rei) beginnt.
  • Es herrscht eine klare Hierarchie zwischen Übungsleiter und Teilnehmenden.
  • Männer und Frauen trainieren zusammen.
  • Man darf nicht mit Straßenschuhen in die Sporthalle kommen.
  • Es wird als störend empfunden, wenn jemand ständig Trinkpausen während des Trainings macht.
  • Man duscht nach dem Training in der Sporthalle.
  • Im Anschluss geht man gerne einmal gemeinsam auf ein Getränk ins Vereinsheim.
  • Wenn man nicht zum Training kommen kann, sagt man rechtzeitig vorher Bescheid.   

Jürgen kann nun überlegen, welche dieser Regeln für ihn wichtig und welche verhandelbar sind. So ist das Prinzip, dass Männer und Frauen gemeinsam trainieren nicht verhandelbar, aber es ist kein Problem für ihn, dass die Männer lieber in der Unterkunft duschen als in der Sporthalle. Häufig kommt es auch nur darauf an, Geflüchteten die vielen Regeln zu erklären und Verständnis dafür zu schaffen.   

Überlegen Sie einmal: Welche Regeln und Erwartungen – bewusst oder unbewusst – haben Sie in Ihrer Arbeit mit Geflüchteten? Was ist davon verhandelbar und was nicht? Und warum ist das so? Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Erwartungen nicht erfüllt werden? Helfen Sie Geflüchteten dabei diese Regeln kennenzulernen und versuchen Sie sich auch einmal flexibel zu zeigen, um Dinge anders zu machen. Denn die eigenen Wertvorstellungen und Regeln müssen nicht immer der Maßstab sein, nach dem sich alles richten muss.

Weiterführendes Material

Informationen zur Vielfältigkeit des Islam: Quantara – Dialog mit der islamischen Welt.

Länderportal mit Infos zu Gesellschaft, Wirtschaft, Geschichte. 

Artikel zum besser Verständnis Geflüchteten aus afrikanischen Ländern.      


Autorenbild

Meike Woller, Diplom-Sozialwirtin, ist Trainerin für Interkulturelle Kompetenz und Globales Lernen. Sie hat verschiedene Projekte zum Thema „Integration“ geleitet und führt interkulturelle Fortbildungen für Menschen durch, die mit Geflüchteten zusammenarbeiten. 

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In Ihrer ehrenamtlichen Arbeit haben Sie viele unterschiedliche Geflüchtete kennengelernt: Was verbindet Sie? Und worin unterscheiden Sie sich? Schreiben Sie Ihre Antwort in die Kommentare und tauschen Sie sich aus!