Beispielhafte Radikalisierungsverläufe von Jugendlichen und Erwachsenen

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Hier stellen wir Ihnen fiktive Lebensläufe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor, die sich nach und nach in Richtung politischer Islamismus radikalisieren. Diese Radikalisierungsverläufe sollen beispielhaft verdeutlichen, an welchen Stellen es Anzeichen im Leben von Jugendlichen geben kann, die zu sogenannten Wendepunkten führen könnten.

Das STOP OK! Spiel

Innerhalb des Modellprojekts „Die Freiheit, die ich meine“, das im Rahmen von Demokratie Leben! umgesetzt wurde, hat der Verein Gesicht zeigen e.V. ein Moderationsspiel zur Islamismusprävention entwickelt. 

STOP OK! eignet sich hervorragend für Fortbildungen von MultiplikatorInnen, Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen, aber auch von Ehrenamtlichen, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind. 

Herzstück des Spiels sind fiktiv verdichtete, aber realistische Lebensläufe, die den möglichen Verlauf einer Radikalisierung aufzeigen und anhand derer biografische Wendepunkte herausgearbeitet und Handlungsoptionen diskutiert werden können. Im Folgenden lernen Sie verschiedene Personen aus diesem Spiel und ihren Weg hin zum radikalen Islamismus kennen.

Wichtig ist dabei nicht zu vergessen, dass es nicht nur den einen Verlauf für eine Radikalisierung geben kann und letztendlich immer der Einzelfall betrachtet werden muss. Das zeigen auch die folgenden Radikalisierungsbeispiele. Auch ist nicht jeder Jugendliche potentiell gefährdet sich zu radikalisieren, nur weil er oder sie sich abschottet oder verändert. Hier geht es nur darum, Sie als Ehrenamtliche dafür zu sensibilisieren, was sogenannte Warnzeichen sein könnten.

Wenn Sie es nicht schon gelesen haben, können Sie mehr zu den Warnzeichen und zum Prozess der Radikalisierung in der vorigen Lektion nachlesen.

Fallbeispiel Farida

Junge Frau mit marokkanischen Wurzeln / erzählt aus der Perspektive ihrer Lehrerin  

„Ich lernte Farida kennen, als sie im Alter von 15 Jahren zu uns auf die Schule wechselte. Ihre Familie war sehr gläubig und kam ursprünglich aus Marokko. Hier im Wedding hatten sie kaum Kontakt zu Deutschen. Ich erlebte Farida als ein ernsthaftes, in sich gekehrtes Mädchen. Sie lachte nur selten. Einen Hidschab trug sie von Anfang an, so wie viele Mädchen aus muslimischen Familien hier im Wedding. Soweit ich es mitbekam, war ihre Mutter recht streng, sie durfte z.B. nach der Schule nicht draußen mit ihren Freundinnen spielen, ihr jüngerer Bruder Malik schon. Auch musste sie sehr viel im Haushalt helfen, soweit ich das mitbekam. 

Einmal hörte ich auf dem Schulhof, wie eine Freundin sie fragte, ob sie das nicht ungerecht findet. Farida zuckte mit den Schultern und antwortete: „Warum sollte ich? Bei uns ist das so“. Ich hatte aber schon das Gefühl, dass sie das ungerecht fand, dass ihr Bruder mehr durfte als sie. 

Farida veränderte sich, als Asifa vor zwei Jahren auf unsere Schule kam. Asifa hatte somalische Wurzeln und beeindruckte Farida offenbar mit ihrer strengen Gläubigkeit. Sie war sehr selbstbewusst und ließ sich von niemandem etwas sagen, auch nicht von gleichaltrigen Jungs…"

Hier können Sie die ganze Geschichte von Farida nachlesen:

Farida - 1.78 MB

Fallbeispiel Juliane

Deutsche Konvertitin / erzählt aus der Perspektive ihrer muslimischen Freundin Melek

„Ich kenne Juliane schon seit der Grundschule. Später sind wir auch auf die gleiche Berufsschule gegangen, haben die Erzieherinnen-Ausbildung zusammen angefangen. Ihre Eltern waren beide Juristen und arbeiteten viel, Geldsorgen hatte sie nie. Juliane konnte sich immer alles kaufen, was sie haben wollte. Außer mir hatte sie damals nicht viele weitere Freundinnen. 

Sie war in meinen Augen ein hübsches Mädchen mit ihren blauen Augen und den dunklen Haaren, aber sie selbst war damals sehr unsicher wegen ihres Aussehens. Sie fand sich selber sehr durchschnittlich und nichts Besonderes und fragte sich, was man an ihr gut finden könnte. Sie betrachtete sich oft selbstkritisch im Spiegel, wenn ich bei ihr zuhause war. Sie war sehr unzufrieden mit ihrem Körper. Ihre Haut war nicht rein genug, ihr Bauch zu dick, ihr Po zu flach. 

Besonders schlimm war es, wenn sie sich mit den Frauen, die sie auf Instagram abonniert hatte, oder mit den Models in Modezeitschriften verglich. Das änderte sich erst, als sie Khaled in einem Online-Chat kennen lernte..."

Hier erfahren Sie mehr über Juliane und ihren Weg hin zum Islamismus:

Fallbeispiel Juliane - 1.78 MB

Fallbeispiel Adam

Deutscher Konvertit aus evangelischem Elternhaus  

„Damals, als meine Eltern noch zusammen waren, sind wir sonntags oft in die Kirche gegangen. Ich fand es dort immer schon kalt und unangenehm, den Pfarrer mochte ich auch nicht. Heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich wirklich in die Kirche gegangen bin. Ich schäme mich dafür. Es fühlt sich an wie ein anderes Leben. 

Nach der Trennung meiner Eltern wechselte ich auf die Realschule. Auf dem Schulhof wurde ich oft von den anderen gehänselt. Weil ich dick war. Das hat mich gestört. Im Fernsehen hatte ich einen Boxkampf gesehen, der hat mich total fasziniert. Das wollte ich auch können. In der Nähe meiner Schule gab es einen Boxverein, da bin ich dann hin und hab es ausprobiert. Es hat mir Spaß gemacht, das Training bis zur Erschöpfung, der Muskelkater am nächsten Morgen. Beim Boxen konnte ich all meine Probleme vergessen. Durch den Sport habe ich abgenommen. Plötzlich war es ganz einfach. Mein Körper veränderte sich, ich bekam Muskeln. Das fühlte sich super an. Endlich verstummten die anderen und hatten Respekt vor mir…“  

Wie beschreibt Adam seine Hinwendung zum Islamismus? Lesen Sie seine Geschichte hier nach:

Fallbeispiel Adam - 1.77 MB

Fallbeispiel Burak

Junger Deutscher mit türkischen Wurzeln   

Burak wird 1998 in Berlin geboren. Sein Vater ist Deutschtürke der zweiten Generation, seine Mutter kam als junges Mädchen aus der Türkei nach Deutschland. Als Burak 9 Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern. Der Vater bekommt kurz darauf ein Job-Angebot aus der Türkei, wandert aus und baut sich dort ein neues Familienleben auf. Für Burak, der gerade in die Pubertät kommt, ist das ein Schock. Er vermisst seinen Vater sehr, doch er spricht mit niemandem darüber. Er schämt sich für seine Gefühle, er will stark sein.

In der Schule läuft es für Burak auch nicht gut. Er hat schlechte Noten. Burak glaubt, dass liegt daran, dass seine Eltern Türken sind und die Lehrer und Lehrerinnen ihm trotz guter Leistungen schlechtere Noten geben. Er streitet sich deswegen oft mit ihnen, was es noch schlimmer macht…  

Wie geht es weiter mit Buraks Geschichte? Das erfahren Sie hier:

Fallbeispiel Burak - 1.77 MB

Fallbeispiel Marie

Deutsche Konvertitin / erzählt aus der Perspektive ihrer Tante 

Marie ist meine Nichte. Sie hatte es als Kind nicht leicht. Ihre Eltern haben sich getrennt, als sie 4 Jahre alt war, meine Schwester hat einige Jahre später wieder geheiratet. Mit dem neuen Mann verstand sich Marie überhaupt nicht. Meine Nichte hat noch eine jüngere Schwester. Es gab nur noch Streit zuhause, meine Schwester konnte sich nicht gegen ihren neuen Mann durchsetzen. Ich habe dann mit meiner Schwester Hilfe beim Jugendamt gesucht und wir kamen zu dem Schluss, dass es für Marie das Beste wäre, wenn sie in ein Projekt für betreutes Wohnen zieht. Da war sie 14 Jahre alt.  

Die Betreuer waren nett und sorgten für eine familiäre Stimmung. Ich glaube, Marie fühlte sich dort wohl und gut aufgehoben. Nur in der Schule lief es nicht so gut, sie schwänzte viel und ist dann nach der 9. Klasse abgegangen. Sie machte einige Praktika, aber überall flog sie wieder raus, weil sie unpünktlich war und eine große Klappe hatte. 

Mit 17 Jahren hat ihr das Jugendamt dann eine eigene Wohnung vermittelt. Das war nicht gut für sie, ihr fehlte der Halt…  

Lesen Sie hier die ganze Geschichte von Marie:

Fallbeispiel Marie - 1.77 MB
Autorenbild

Gesicht Zeigen! ermutigt Menschen, aktiv zu werden gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt. Der Verein greift in die aktuelle politische Debatte ein und bezieht öffentlich Stellung. Ziel von Gesicht Zeigen! ist die Sensibilisierung für jede Art von Diskriminierung und die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements.

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Fällt es Ihnen leicht, sogenannte Wendepunkte in den Lebensläufen auszumachen? Haben Sie ähnliche Fälle schon einmal erlebt oder wissen nicht so richtig, ob es überhaupt Warnzeichen gibt? Schreiben Sie uns gerne im Kommentarfeld am Ende der Seite.