Funktionaler Analphabetismus ist gegeben,
Worum geht es? Zahlen und Fakten
Zu den KommentarenWie steht es um Lese- und Schreibkompetenzen in Deutschland? Wie viele Erwachsene haben in Deutschland damit Schwierigkeiten? Wie äußern sich diese?
In dieser Lektion
Foto: © Kai Löffelbein / vhs-Ehrenamtsportal
Definition funktionaler Analphabetismus
„wenn die schriftsprachlichen Kompetenzen von Erwachsenen niedriger
sind als diejenigen, die minimal erforderlich sind und als selbstverständlich
vorausgesetzt werden, um den jeweiligen gesellschaftlichen
Anforderungen gerecht zu werden. Diese schriftsprachlichen Kompetenzen
werden als notwendig erachtet, um gesellschaftliche Teilhabe
und die Realisierung individueller Verwirklichungschancen zu eröffnen.“
Definition „funktionaler Analphabetismus“ des Alphabunds 2010, zitiert nach Grotlüschen, A. / Riekmann, W. (Hrsg.): Funktionaler Analphabetismus in Deutschland. Ergebnisse der ersten leo. – Level-One Studie, Münster: Waxmann 2012, S. 17.
Funktionaler Analphabetismus bedeutet somit nicht, gar nicht lesen und schreiben zu können. Vielmehr wird das gesellschaftliche Umfeld betrachtet, in dem eine Person lebt, und die Frage, ob die Person mit ihren Fähigkeiten in der Gesellschaft zurechtkommt.
Wer nach Besuch einer Schule nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen kann, ist in seiner gesellschaftlichen Teilhabe stark eingeschränkt und hat kaum Chancen auf eine langfristig existenzsichernde Beschäftigung. Im Alltag als auch im Beruf können das Ausfüllen von Formularen, der Elternbrief aus der Schule oder die Warnhinweise am Arbeitsplatz zu einer echten Herausforderung werden.
Für all diese Fähigkeiten benötigt man eine entsprechende Grundbildung.
"Grundbildung bezeichnet die Minimalvoraussetzung an Wissensbeständen, Kenntnissen, Fertigkeiten, personalen und sozialen Kompetenzen, die für Orientierung, aktives Handeln und Teilhabe in der Gesellschaft notwendig sind. Grundbildungsangebote haben zum Ziel, Menschen durch Lernen zu unterstützen, diese Minimalvoraussetzungen zu erwerben bzw. sie zu erhalten."
Definition der DVV-Fachgruppe Alphabetisierung, Grundbildung, Schulabschlüsse April 2013, online abrufbar hier (letzter Abruf im Mai 2021).
Wie viele Erwachsene haben Lese- und Schreibschwierigkeiten?
Fast jeder dritte Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren hat Lese- und Schreibschwierigkeiten.
Haben Sie mit Ihrer Antwort richtig gelegen? Laut der LEO-Studie von 2018 leben in Deutschland rund 6,2 Millionen Erwachsene mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen. Dies entspricht etwa 12% der Bevölkerung. Hinzu kommen rund 10,6 Millionen Menschen, die fehlerhaft schreiben. Das bedeutet, dass sie die Rechtschreibung, wie sie bis zum Ende der Grundschule unterrichtet wird, nicht hinreichend beherrschen und auch bei gebräuchlichen Wörtern langsam oder fehlerhaft lesen und schreiben.
Betrachtet man die in der Grafik dargestellten Zahlen, wird schnell deutlich, dass fast jeder dritte Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hat.
Datenquelle: LEO 2018. Abweichungen von 100% sind rundungsbedingt.
Die LEO Studie
Bei der LEO-Studie handelt es sich um eine repräsentative Studie der Universität Hamburg, welche die Lesekompetenz von Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 64 Jahren untersucht hat.
Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag, öffentlich auf die Thematik mangelnder Grundbildungskenntnisse aufmerksam zu machen und mit gängigen Klischees zu brechen. So wird ein differenziertes Bild von Personen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten aufgezeigt.
Aus der Studie geht auch hervor: Gering literalisierte Menschen sind mehrheitlich erwerbstätig, in allen Altersgruppen vertreten und haben überwiegend einen Schulabschluss.
LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität
Die Universität Hamburg führte im Jahr 2018 bereits zum zweiten Mal die Level-One Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durch.
Das Wissenschaftsteam um Prof. Dr. Anke Grotlüschen hat in einer einstündigen Befragung Erwachsene mit ausreichenden mündlichen Deutschkenntnissen hinsichtlich ihrer Lese- und Schreibkompetenzen untersucht.
Die Studie unterscheidet vier untere Kompetenzstufen für das Lesen und Schreiben – die sogenannten Alpha-Levels.
Als gering literalisiert werden Erwachsene im Kompetenzbereich der Alpha-Levels 1 bis 3 bezeichnet. Diese Zuschreibung schließt Personen ein, die allenfalls bis zur Ebene einfacher Sätze lesen und schreiben können. Im Vergleich zur ersten LEO-Studie aus dem Jahr 2010 ist die Anzahl der gering literalisierten Erwachsenen von 7,5 Mio. auf 6,2 Mio. gesunken.
Auf Alpha-Level 4 befinden sich 2018 rund 10,6 Mio. Menschen, deren Lese- und Schreibkompetenzen unter dem Niveau liegen, das zum Ende der Grundschule vorausgesetzt wird. Im Vergleich zu 2010, als diese Zahl sich noch auf 13,3 Mio. belief, ist auch hier eine Verbesserung zu verzeichnen.
Die LEO-Studie untersucht desweiteren die Zusammensetzung der Bevölkerung mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen hinsichtlich Alter, Geschlecht und Herkunft. Sie gibt außerdem wichtige Hinweise darauf, wie sich geringe Literalität auf die Chancen gesellschaftlicher Teilhabe auswirkt.
In den nächsten Lektionen werden wir die Begriffe „funktionaler Analphabetismus“ sowie „Erwachsene mit Lese- und Schreibschwierigkeiten“ verwenden. Damit meinen wir sowohl funktionale Analphabet*innen (oder wie es in der LEO Studie heißt, „gering literalisierte Erwachsene“) als auch Erwachsene, die nicht als solche eingestuft werden würden, jedoch Schwierigkeiten haben, wenn es um komplexere, zusammenhängende Texte geht.
Funktionale Analphabet*innen bringen entgegen der Bedeutung des Begriffes Analphabetismus meist geringe Lese- und Schreibkompetenzen mit und können zum Teil einzelne Wörter und kurze Sätze lesen und verstehen. Zählt man die Erwachsenen in Deutschland dazu, die auch bei einfachen und kurzen Texten Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben, so ist fast jeder Dritte in Deutschland von funktionalem Analphabetismus betroffen. Auch wenn diese Zahl in den vergangenen Jahren im Vergleich gesunken ist, so ist das weiterhin eine erschreckend hohe Anzahl an Menschen.
Weiterführende Materialien
Sie möchten mehr zum Thema "Geringe Literalität" erfahren? Die gesamte LEO-Studie können Sie hier einsehen:
Die Inhalte dieser Lektion sind im Deutschen Volkshochschul-Verband e.V. im Rahmen des Projekts AQUA entstanden und wurden für Sie redaktionell überarbeitet und ergänzt vom Redaktionsteam des vhs-Ehrenamtsportals.
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