Umgang mit Stammtischparolen und Anfeindungen im Ehrenamt

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Je nach Kontext und Situation können Sie unterschiedlich auf menschenfeindliche Aussagen, Hate Speech und Anfeindungen von Personen aus Ihrem Umfeld reagieren. Die nachfolgenden Vorschläge zum Umgang in der Praxis sollen Sie dabei unterstützen, angemessen auf komplexe Situationen zu reagieren.

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Wie können Sie reagieren? – Konkrete Empfehlungen

In der Praxis stellt sich wiederholt die Frage, wie auf abwertende und diskriminierende Äußerungen und Verhaltensweisen angemessen reagiert werden kann. Es ist unfassbar schwierig, eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage zu finden. Da die Rahmenbedingungen einzelner Situationen sowie die individuellen Lebensläufe und Erfahrungen der Betroffenen sich stark unterscheiden, ist es nicht möglich, ein universelles Handlungskonzept darzustellen. Als Anregung möchten wir Ihnen einige Tipps für den Umgang mit schwierigen Positionen (u.a. in Form von Stammtischparolen und Hate Speech) geben. Letztendlich müssen Sie entscheiden, was Sie leisten wollen und können.  


Zuhören und Nachfragen ohne Bewertung 

Geben Sie Ihrem Gegenüber zunächst Raum und Zeit seine*ihre Position, Einstellung und Verhaltensweise zu erklären, ohne dass Sie bereits einschreiten und eine Gegenposition formulieren. Dieses „Raum geben“ gibt Ihrem Gegenüber das Gefühl, ernst genommen und respektiert zu werden. Im Anschluss vermitteln gezielte Nachfragen Ihr Interesse an der Person und ihrer Einstellung. „Kannst du mir das noch einmal erklären? Habe ich das richtig verstanden?“ Diese Art der Kommunikation auf Augenhöhe führt zu einem wertschätzenden Miteinander. Sie vermeiden hierdurch, dass Ihr Gegenüber Ihre Hinweise abblockt und sich vor neuen Impulsen verschließt. Seien Sie sich bewusst, dass Ihr primäres Ziel zunächst ist, im Gespräch zu bleiben! Oft neigen wir dazu, andere von unserer Meinung überzeugen zu wollen. Wenn Sie Expert*in in Ihrem gemeinsamen Diskussionsthema sind, können Sie Ihrem Gegenüber durch neugieriges Nachfragen die Lücken in seinem*ihrem Wissen aufzeigen. Allerdings ist es enorm wichtig, dass diese*r selbst auf diese Lücken stößt. Belehrungen und Erklärungen von Ihnen werden Ihr Gegenüber eher nicht von seinem Standpunkt abbringen. Unwissenheit wird häufig als Motiv für pauschalisierende Äußerungen verantwortlich gemacht. Ihnen sollte jedoch bewusst sein, dass menschenfeindliche Aussagen in der Regel aufgrund anderer Motive (u.a. Wunsch nach starker Gruppenidentität, Zugehörigkeit und Anerkennung, Unsicherheit und Überforderung sowie Suche nach Orientierung und Halt durch klare Wir-Ihr-Gegensätze) geäußert werden. 


Artikulation der eigenen Position und Ablehnung menschenfeindlicher Einstellungen  

Menschenfeindliche Handlungen – egal in welcher Form sie auftreten und gegen wen sie gerichtet sind – drücken eine Ungleichwertigkeit der Menschen aus und bezeichnen Mitglieder verschiedener Gruppen als unnormal. Beziehen Sie daher klar Stellung gegenüber einer solchen Abwertung von Personen und artikulieren Sie Ihre eigene Position! Widersprechen Sie immer dann, wenn es zu anti-pluralistischen, abwertenden und absoluten Ansprüchen kommt! Beleidigende Aussagen sind nicht tolerierbar!


Kann ich handeln? – Bewertung und Einordnung der Situation 

Wenn Sie unsicher sind, wie und ob Sie handeln sollen und können, schauen Sie sich die Situation zunächst genauer an. Gibt es aufgrund des institutionellen oder situativen Kontexts Gründe, weshalb Sie nicht handeln können? Wäre es ratsamer, zu einem späteren Zeitpunkt – eventuell in einem Gespräch unter vier Augen – das Gesagte zu thematisieren? Trauen Sie sich selbst zu, in eine Auseinandersetzung zu gehen oder möchten Sie sich vorab mit einer anderen Person austauschen und/oder Unterstützung suchen? In manchen Situationen möchte Ihr Gegenüber gar nicht mit Ihnen ins Gespräch kommen und wird Ihre Versuche abblocken. Es gibt jedoch genügend Situationen, in denen Sie handeln können und sollten. Genauso wichtig, wie die Bewertung der Situation ist eine Einbettung. Das heißt, Sie sollten nach den Gründen für die Einstellung und Verhaltensweise der Person fragen. Worum geht es wirklich? Insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist es enorm schwierig zwischen einer reinen Provokation – als Teil des Erwachsenwerdens – und einer ideologisch geprägten Aussage zu unterscheiden.      


Das Aussenden von Ich-Botschaften

Bei der Beschreibung der eigenen Position greifen wir in der Regel auf Du-Botschaften zurück. Diese werden meist als Angriff oder Vorwurf von der*m Gesprächspartner*in aufgefasst. Als Gegenreaktion verfallen Personen daraufhin in eine Abwehrhaltung und lassen sich nicht mehr auf neue Gedanken ein. Um der Verfestigung von Einstellungen vorzubeugen, sollten Sie zu Ich-Botschaften greifen. Ich-Botschaften machen die eigene Position deutlich, ohne das Gegenüber zu verletzen. Eine solche Art der Kommunikation erhöht die Wahrscheinlichkeit, über kontroverse Themen im Gespräch zu bleiben. Nutzen Sie Ich-Botschaften insbesondere auch, wenn es um Stammtischparolen geht, die unreflektiert von Ihrem Gegenüber geäußert werden.  


Ein Beispiel für Ich-Botschaften (Angelehnt an: Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. (2015): Praxishandbuch – Widersprechen! Aber wie? Argumentationstraining gegen rechte Parolen)

Die Ziele von Ich-Botschaften sind:
· Ablehnung einer Aussage (nicht der Person an sich) · Artikulation der eigenen Position, ohne den anderen anzugreifen · Anregung zum Nachdenken über Aussagen und/oder Verhaltensweisen · Vorbeugen der Verfestigung von Einstellungen
· Führen von Gesprächen über kontroverse Themen    


Die WWW-Regel

Um Ich-Botschaften zu formulieren, können Sie auf die WWW-Regel zurückgreifen. Die WWW-Regel besteht aus den Komponenten „Wahrnehmung“, „Wirkung“ und „Wunsch“. Unter dem Begriff „Wahrnehmung“ wird die Wiederholung des Gesagten verstanden, um eine gemeinsame Realität zu schaffen und dem*r Gesprächspartner*in die Verantwortung für die eigenen Aussagen bewusst zu machen. Die Komponente "Wirkung" umfasst die Artikulation und Begründung Ihrer eigenen Gefühle, Emotionen und Gedanken. Indem Sie diese als Ich-Botschaften formulieren, verhindern Sie, dass Ihre Botschaft als Vorwurf empfunden wird. Gleichzeitig kann dies zur Reflexion über die Folgen einer Aussage bei Ihrem*r Gesprächspartner*in führen. Der "Wunsch" verkörpert ein Gesprächsangebot. Er sollte positiv und als Wir-Botschaft formuliert sein.     


Einbeziehen der Gruppe 

Begleiten Sie als Ehrenamtliche zum Beispiel eine Gruppe von Zugewanderten unterschiedlicher Nationalität, Geschlechts etc., kann es sich abhängig vom Kontext als sinnvoll erweisen, andere Gruppenmitglieder in die Diskussion einzubeziehen und nach ihrer Meinung zu fragen. Was haltet ihr von dieser Perspektive? Seht ihr das genauso oder habt ihr andere Einstellungen? Je nachdem, welche Rolle Sie als Ehrenamtliche in der Gruppe einnehmen, kann eine moderierende Rolle ratsam sein. Zum einen kommen die Beteiligten so miteinander ins Gespräch und tauschen sich über unterschiedliche Sichtweisen aus. Zum anderen besteht nicht die Gefahr, der Gruppe eine bestimmte Meinung aufzudrücken.   


Unterstützung und Beratung  

Möchten Sie auf eine Aussage oder Verhaltensweise reagieren und sind sich unsicher, welche Handlungsmöglichkeiten Sie haben beziehungsweise geeignet wären? Dann können Sie sich mit Personen aus ihrem Umfeld oder denen austauschen, die die Situation miterlebt haben. Es gibt darüber hinaus zahlreiche Beratungsstellen, die Ihnen helfen können, die Situation besser einzuschätzen und angemessen reagieren zu können. Um gut gemeinte, kontraproduktive Interventionen/Reaktionen zu vermeiden, würden wir Ihnen sogar anraten, sich bei uneindeutigen Situationen an Beratungsstellen zu wenden. Insbesondere die Frage nach dem Warum ist schwierig zu beantworten, gleichzeitig aber enorm wichtig, um eine angemessene Reaktion zu erarbeiten. Aufgrund fehlender Informationen kann es demnach hilfreich sein, die Perspektive und Kompetenzen einer Beratungsstelle zu involvieren.    


Überzeugen durch Sachargumente? – Häufig begrenzte Wirksamkeit  

Kennen Sie die Übung „Der heiße Stuhl“? Im Rahmen dieser Übung übernimmt eine Person die Rolle des*r Diskriminierenden und eine andere Person die Rolle des*r Argumentierenden. Die Personen sollen zum Beispiel über die Rechte von Personen mit einer geistigen und/oder körperlichen Behinderung diskutieren. Dabei äußert sich die diskriminierende Person abwertend und ausgrenzend dieser Personengruppe gegenüber. Ziel der Übung ist es, Gesprächsdynamiken zu erkennen und zu erfahren, dass Sachargumente häufig keine Wirkung entfalten. Ursache von diskriminierenden Einstellungen ist meist nicht die eigene Unwissenheit. Diese sind vielmehr bedingt durch andere Motive (u.a. Angst vor Veränderungen, Sündenbockfunktion). Argumente interessieren in dem Moment häufig gar nicht. Daher ist es manchmal ratsam, Ihre Meinung auch ohne wirkliche Gegenargumente einzubringen, indem Sie einfach STOPP sagen. Damit verdeutlichen Sie, dass Sie die Meinung Ihres Gegenübers nicht teilen. Dies gilt vor allem auch bei Hass im Internet und den sozialen Netzwerken.  

Es gibt keinen Masterplan für die eigene Reaktion auf menschenfeindliche Aussagen. Die Frage nach konkreten Empfehlungen für die Praxis ist demnach unheimlich schwierig zu beantworten. Reflektieren Sie eigene persönliche Erfahrungen, den institutionellen Kontext, in dem sie sich bewegen, und persönliche handlungsleitende Verhaltensregeln, um Ihre Reaktion der Situation angemessen zu gestalten.
  
Folgende Tipps für den Umgang mit menschenfeindlichen Aussagen, können sie für die Praxis mitnehmen:
► Zuhören und Nachfragen ohne Bewertung – „Wie hast du das gemeint?
► Habe ich das richtig verstanden?“ Artikulation der eigenen Position mit Hilfe von Ich-Botschaften (WWW-Regel)
► Ablehnung menschenfeindlicher Einstellungen – NICHT Abwertung des*der Gesprächpartner*in  
► Bewertung und Einordnung der Situation (Kontextualisierung)  
► Einbeziehen der Gruppe und Rücksprache mit Kolleg*innen
► Kontaktaufnahme mit Beratungsstellen  


Weiterführendes Material

Einen Überblick über die verschiedenen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sowie Hinweise zum Umgang mit menschenfeindlichen Äußerungen geben die Wandzeitungen der Reihe „Was sage ich, wenn…“ der Bundeszentrale für politische Bildung. Diese sind kostenlos bestellbar.  

Darüber hinaus können wir Ihnen das Kartenset „The Kids are Alright“ von ufuq.de sehr empfehlen. Dieses fokussiert die Themen Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus und vermittelt Hintergrundinformationen sowie praktische Tipps zu spezifischen Themen/Situationen. Das Kartenset kostet 10 Euro zuzüglich Versandkosten und kann über bestellung@ufuq.de bestellt werden. 

In dem Praxishandbuch „Widersprechen! Aber wie? Argumentationstraining gegen rechte Parolen“ des Trägers Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. finden Sie einige hilfreiche Übungen für Ihre nächste kontroverse Auseinandersetzung. 

Als Anregung zum Umgang mit Stammtischparolen empfehlen wir die Bücher „Argumente am Stammtisch: Erfolgreich gegen Parolen, Palaver und Populismus“ und „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Materialien und Anleitungen für Bildungsarbeit und Selbstlernen“ von Klaus-Peter Hufer.    


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Adriane Schmeil hat in ihrer Masterarbeit zum Thema "Prävention und Deradikalisierung im Kontext des Islamismus" die Arbeit des Programms Wegweiser in NRW anhand qualitativer Befragungen der Berater*innen analysiert. Sie war als Referentin im Projekt "Prävention und Gesellschaftlicher Zusammenhalt" (PGZ) des Deutschen Volkshochschul-Verbands tätig.

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