Der Konflikt in Syrien ist schwer zu verstehen. Wer gegen wen und warum? Im Sinne von X gegen Y ist das kaum zu erklären. Zu viele regionale und internationale Konflikte werden auf dem Schlachtfeld in Syrien ausgetragen. Es ist ein Krieg in Syrien, aber kein syrischer Krieg. Was 2011 mit friedlichen Demonstrationen für Reformen und Demokratie begann, ist zur größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts geworden.

Letzte Aktualisierung: Mai 2020

Quiz „Vier Fakten und eine Lüge“ – Syrien

Was wissen Sie bereits über Syrien? Welche der folgenden Aussagen ist falsch? Wählen Sie aus.

Geflüchtete aus Syrien

Anzahl der Asylanträge, die 2018 in Deutschland gestellt wurden:
44.167 (Stand November 2019, Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Hauptaufnahmeländer:
Türkei, Libanon, Jordanien, Irak, Ägypten (Stand Juni 2019, Quelle: UNHCR – The UN Refugee Agency)
Anzahl der Binnenvertriebenen:
circa 6,2 Millionen (Stand Juni 2019, Quelle: UNHCR Global Trends – The UN Refugee Agency )
Wird Syrien als sicheres Herkunftsland eingestuft?
Syrien wird derzeit (Stand Mai 2019) von Deutschland nicht als sicheres Herkunftsland eingestuft.

Syrien: ein Krieg ohne Ende?

2011, im Zeichen der Demonstrationen des sogenannten „Arabischen Frühlings“, forderten auch Demonstranten in syrischen Städten demokratische Reformen. Fast ein Jahr lang demonstrierten die Menschen friedlich, obwohl die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al Assad zunehmend brutale Gewalt einsetzte. In der syrischen Revolution entstanden viele freiwillige Zusammenschlüsse von Komitees und Gruppen, die der Bevölkerung und Familien halfen, das Alltagsleben, das immer schwieriger wurde, zu bewältigen. Diese Form der Selbstorganisation und die lange Gewaltlosigkeit trotz vieler Gewaltakte seitens der Regierung zeugten von der hohen zivilgesellschaftlichen Fähigkeit der syrischen Bevölkerung. Man vergisst das leicht angesichts der heutigen Zerstörungen nach langen Kriegsjahren, aber die Syrer und Syrerinnen haben sich lange gegen die Zerstörung ihres Landes gewehrt. Und Islamisten spielten zu diesem Zeitpunkt der Revolution überhaupt noch keine Rolle. 

Das Regime Baschar al Assads – eine heile Welt?

In Damaskus herrscht bis heute die Regierung Baschar al Assads. Es handelt sich um eine Familiendiktatur, die vom Vater des jetzigen Präsidenten Anfang der 1970er-Jahre nach einem Putsch gegründet wurde. Im Gegensatz zum benachbarten Irak, wo fast parallel die Diktatur Saddam Husseins entstand, fehlte Syrien der Ölreichtum. Auch deswegen setzte man nach dem Ende des Kalten Krieges 1990, in dem Syrien der große arabische Verbündete der Sowjetunion gewesen war, und verstärkt ab dem Jahr 2000, als der junge Baschar al Assad das Amt von seinem Vater übernahm, auf eine gewisse Öffnung des Landes. Syrien war in den Jahren vor 2011 längst zu einem beliebten Tourismusziel gerade von Europäern geworden. Die Diktatur gab sich nach außen ein freundliches, betont weltoffenes Gesicht. Solange sie sich nicht politisch betätigten, konnten durchschnittliche Syrerinnen und Syrer auch relativ unbehelligt leben.  

Das ganze Land gehört dem Präsidenten: So wird man unmissverständlich bei der Einreise in den Herrschaftsbereich al Assads begrüßt. © Christin Luettich

In einer Diktatur wie der syrischen gibt es immer eine Außensicht und eine Innensicht. Menschen, die in solchen Diktaturen leben, wissen, dass es immer mindestens zwei Wahrheiten gibt: Eine offizielle, die nicht hinterfragt werden darf, und eine, die auf der eigenen Meinung beruht. In einer politischen Kultur, wie es sie in Syrien gibt, glauben Menschen oft an Verschwörungen – nicht nur weil die offiziellen Medienkanäle voll mit solchen aktuellen Nachrichten sind, sondern auch weil die Menschen von klein auf gelernt haben, dass man Probleme nicht offen benennen darf.  

Wie steht es um das Bildungssystem in Syrien?

Woher kommen die großen Unterschiede im syrischen Bildungssystem? Manche Syrerinnen und Syrer sprechen gut Englisch und haben eine solide Ausbildung, andere sind praktisch Analphabeten. Offiziell haben sie aber dasselbe Bildungssystem durchlaufen. Unser Experte Dr. Oliver M. Piecha erklärt, warum man das syrische Bildungssystem nicht mit dem deutschen vergleichen kann und weshalb verhältnismäßig viele Ärzte und Ärztinnen Syrien verlassen haben. Schauen Sie sich das Video an!

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Ist der Syrer nur ein Syrer?

Syrien ist – wie eigentlich der ganze Nahe Osten – ein Flickenteppich verschiedener kleiner und großer Volksgemeinschaften und religiöser Gruppen – und war es in früheren Zeiten noch viel mehr.  

  • Die größte Bevölkerungsgruppe in Syrien sind die Sunniten mit – vor dem Krieg – etwa 75 Prozent. 
  • Es gibt im Norden des Landes kurdische Gebiete mit einer kurdischen Bevölkerung von schätzungsweise einer Million (alle diese Zahlen über Syrien sind sehr ungenau).  
  • Außerdem gibt es mit ca. 10 Prozent die Bevölkerungsgruppe der Alawiten, die eigentlich aus dem Küstengebirge kommen, und meist zu den Schiiten gezählt werden.  
  • Daneben gibt es zahlreiche christliche Kirchen und Gemeinschaften, deren Zahl im Verlauf der letzten 100 Jahre wie überall im Nahen Osten dramatisch abgenommen hat. Vor dem Krieg hat man mit rund 10 Prozent christlichem Bevölkerungsanteil gerechnet.
  • Dazu kommen weitere Bevölkerungsgruppen wie die Drusen.  

Wenn ein Syrer oder eine Syrerin nun einem anderen Syrer oder einer anderen Syrerin begegnet, dann wird er bzw. sie sehr schnell herausgefunden haben, woher der oder die andere kommt und welcher Gruppe oder Religion er bzw. sie angehört. Das ist für uns Deutsche manchmal etwas irritierend, denn die Konsequenzen, die das haben kann, sind ganz andere als in Deutschland, wenn man zum Beispiel fragt, ob jemand aus Bayern oder aus Berlin kommt. 

Es gibt viele Abgrenzungen, die die syrische Gesellschaft durchziehen und die durch den Krieg zu Abgründen geworden sein können. Menschen werden in Syrien quasi automatisch, ob sie wollen oder nicht, zu der Gruppe gerechnet, in die sie hinein geboren wurden. Im Alltag kann das beispielsweise heißen, dass einer Alawitin ungefragt unterstellt wird, dass sie das Regime der Assads unterstützt. Denn: Baschar al Assad und seine Familie gehören den Alawiten an. Bestimmte wichtige Bereiche des Regimes, vor allen Dingen die Sicherheitskräfte, sind praktisch nur mit Alawiten besetzt. Viele Alawiten – aber nicht alle! – haben von der Diktatur Assads profitiert. Jetzt werden sie als Gruppe mit dieser Diktatur identifiziert – ob sie persönlich anderer Ansicht sind, spielt dabei keine Rolle. 

Die Diktaturen des Nahen Ostens haben dieses Gegeneinander-Ausspielen der Bevölkerungsgruppen immer gekonnt benutzt. Die meisten der syrischen Flüchtlinge in Deutschland etwa sind Sunniten. Das ist kein Zufall, denn sie werden von der Regierung Assad vertrieben. Das Ziel ist, dass sich die Zusammensetzung der Bevölkerung in strategisch wichtigen Regionen ändert. Die Christen in Syrien wiederum stehen tendenziell auf der Seite des Regimes, denn es verspricht, sie zu schützen. Gleichzeitig bedeutet das aber, dass „die Christen“ zum potentiellen Ziel der anderen Seite werden. Was die einzelnen Syrer oder Syrerinnen darüber denken oder was sie wollen, hat dabei keine Bedeutung. Menschen werden dabei nicht als Individuen verstanden, sondern nur als Angehörige ihrer jeweiligen Gruppe. 

Wie sich diese starken Abgrenzungen zwischen den einzelnen Gruppen für die Menschen in Syrien im Alltag zeigt, fasst unser Experte Dr. Oliver M. Piecha noch einmal in diesem Video zusammen:

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Bleiben die Syrerinnen und Syrer eigentlich hier?

Im zweiten Halbjahr 2017 mehrten sich in der Presse die Stimmen, die von einem Ende des Krieges in Syrien und sogar von einer möglichen Rückkehr der syrischen Geflüchteten sprachen. Dass der Krieg in Syrien keineswegs beendet ist, haben die schweren Kämpfe Anfang 2018 im Norden gezeigt. Sie gehörten – gerade auch aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung – zu den blutigsten Kämpfen, die das Land seit Jahren gesehen hat. Die aus Syrien Geflüchteten repräsentieren außerdem in ihrer absoluten Mehrheit den Bevölkerungsteil, der mit Sicherheit nie wieder freiwillig unter einer Herrschaft des Assad-Clans in Syrien leben möchte. Unser Experte Dr. Oliver M. Piecha gibt im Video eine Einschätzung ab, wie wahrscheinlich es ist, dass Syrerinnen und Syrer bald in ihr Heimatland zurückkehren können:

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Im Gespräch mit Hussam Albaba – Ein persönlicher Blick auf Syrien

In diesem Interview gibt uns Hussam Albaba spannende und ganz persönliche Einblicke in sein Herkunftsland. Wir erfahren etwas über das Zusammenleben verschiedener Religionen in Syrien, über das Bildungssystem und wie sich das Leben in Syrien seit Kriegsbeginn verändert hat. Eine persönliche Botschaft für Ehrenamtliche und Newcomer hat er auch für uns. Schauen Sie rein!

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Sie haben Syrien nun anhand von fünf „Schlaglichtern“ ein wenig kennengelernt. Was können Sie als Hintergrundinformationen für Ihre ehrenamtliche Tätigkeit mitnehmen?
► Syrien war schon vor dem Krieg eine Diktatur. Bevor die Kämpfe in Syrien ausbrachen, haben die Menschen ein Jahr lang friedlich demonstriert.
► Syrien ist ein Flickenteppich verschiedener kleiner und großer Volksgemeinschaften und religiöser Gruppen. Das beeinflusst das Zusammenleben der Menschen in Syrien genauso wie ein mögliches Aufeinandertreffen von Geflüchteten in Deutschland.
► Das Bildungssystem in Syrien ermöglicht nicht jeder Syrerin beziehungsweise jedem Syrer eine gleichwertige Bildung. Die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten ist gemessen an internationalen Standards gut.
► Ein Ende des Krieges in Syrien ist derzeit nicht in Sicht. Es könnte sein, dass der Konflikt mittelfristig „einfriert“, aber eine baldige Rückkehr von syrischen Geflüchteten ist sehr unwahrscheinlich.

Weiterführendes Material

Im Dossier Syrien des Informations-Portals zur politischen Bildung findet sich nicht zuletzt eine verlässliche Übersicht über die Entwicklung des Krieges in Syrien und zur aktuellen politischen Lage. 

Ein extrem hohes Maß an Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung kennzeichnet den Krieg in Syrien. Im Länderbericht von Amnesty International findet man alle relevanten Informationen.  

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UN) liefert die aktuellsten Daten über die Flüchtlingslage in und um Syrien. Es gibt eine Zusammenfassung auf Deutsch, die Datenportale selbst sind englischsprachig.

Als Literatur sei Ihnen die Publikation „Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land“ von Kristin Helberg empfohlen (erschienen 2016 im Herder Verlag, Freiburg). Lesenswert sind auch die Bücher „Die gestohlene Revolution. Reise in mein zerstörtes Syrien“ von Samar Yazbek (erschienen 2015 bei Nagel & Kimche, München) sowie „Die schwarze Macht. Der »Islamische Staat« und die Strategen des Terrors“ von Christoph Reuter (erschienen 2015 bei DVA, München).



Autorenbild

Dr. Oliver M. Piecha ist Historiker, er hat zahlreiche Workshops über Interkulturelle Kompetenz mit dem Schwerpunkt Naher Osten durchgeführt und war immer wieder in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, zuletzt in einem Projekt über weibliche Genitalverstümmelung in Asien und dem Nahen Osten.  

Foto: Joachim Sobek

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Wie sind Ihre Erfahrungen?

Sprechen Sie mit Geflüchteten oder Bekannten, die aus Syrien stammen, über deren persönliche Erfahrungen. Welcher Gruppe fühlen sie sich angehörig? Welche Bedeutung spielt für sie Identität? Wie begegnen sie anderen syrischen Geflüchteten in Deutschland? Schreiben Sie Ihre Antwort in die Kommentare!