Und jetzt zurück? − Wenn Rückkehr eine Option ist

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Geflüchtete ohne Bleibeperspektiven in Deutschland haben die Möglichkeit, freiwillig in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Doch was heißt Rückkehr? Was unterscheidet sie von einer Abschiebung? Erfahren Sie es in dieser Lektion.

© Getty Images / Mlenny

Als 2015 die Bilder durch die Presse gingen, von schutzsuchenden Menschen nach ihrer Flucht, endlich angekommen in Deutschland, da war für Gabi klar: Hier gibt es was zu tun! Zeit war auch da, und weil in der Nähe sogar eine Unterkunft für Geflüchtete aus dem Boden gestampft wurde, fiel Gabi die Entscheidung nicht schwer. Sie begegnete vielen neuen Gesichtern und lernte bald auch Ferhad kennen, der aus dem Irak den weiten Weg nach Deutschland gefunden hatte. Der anfänglichen Unterstützung in alltäglichen Herausforderungen folgte die Einladung zum Essen und nach einer Weile wurde eine engere Beziehung daraus. Aber nun geht es Ferhad nicht wirklich gut in Deutschland. Er findet einfach keinen Job, auch ist unklar, wie lange er überhaupt noch bleiben kann. Und da seine Familie ihm nicht nachreisen darf, vermisst er sie sehr. Er hat von einigen Syrern gehört, die sich dazu entschieden haben, Deutschland wieder zu verlassen und fragt Gabi um Rat. Sie ist selber überfragt und macht sich auf die Suche nach Informationen.

Rückkehr − ist das eine Option?

Vielleicht kommt Ihnen diese Geschichte bekannt vor, vielleicht ist eine solche oder ähnliche Geschichte der Grund, weshalb Sie sich hier im vhs-Ehrenamtsportal mit dieser Themenwelt beschäftigen wollen. In den nächsten Lektionen geht es darum, den Kontext von (freiwilliger) Rückkehr zu verstehen, und was das für Geflüchtete heißt. Vor allem aber geht es auch darum, zu überlegen, welche Rolle Sie unterstützend und begleitend in einem solchen, für viele Beteiligte oft nicht einfachen Prozess, einnehmen könnten. Zum Einstieg steht die Frage: Was heißt das überhaupt, Rückkehr?

Quelle: © DVV International 2019, Fachpapier ERWACHSENENBILDUNG IM RÜCKKEHR- UND REINTEGRATIONSPROZESS

Migrieren bedeutet, den eigenen Lebensmittelpunkt langfristig zu verlagern − zum Beispiel vom Land in die Stadt oder in ein anderes Land. An diesem neuen Ort anzukommen, ist häufig eine große Herausforderung − diesen Prozess nennt man Integration. Was alles dazu gehört und ab wann jemand integriert ist, darüber wird viel diskutiert. Klar ist jedenfalls, dass dies nicht immer gelingt, bzw. nicht so gelingt, wie sich die Beteiligten das vorstellen − aus ganz verschiedenen Gründen. In manchen Fällen kann es dann wiederum sein, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland in Frage kommt.

Warum kehren Menschen zurück?

Wenn Menschen sich für eine Rückkehr entscheiden, kommen häufig mehrere Gründe zusammen. Was vermuten Sie: Was sind die drei häufigsten Gründe für den Wunsch, ins Herkunftsland zurückzukehren?


Die Forschung zeigt, dass die Entscheidung darüber, ob Menschen wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren wollen, in erster Linie an den Bedingungen im Aufnahmeland hängt, kurz: Wenn es für sie in Deutschland einigermaßen gut läuft, wollen die Menschen meistens auch bleiben. Ob es gut läuft, wird dabei von vielen Faktoren bestimmt: "Wie und wo kann ich wohnen?", "Darf ich arbeiten, Geld verdienen und für mich selbst sorgen?", "Darf und kann ich mich weiterbilden?", "Ist mein Aufenthalt erstmal gesichert, oder muss ich ständig Angst haben, wieder gehen zu müssen?", "Kann ich mit meiner Familie zusammenleben?"

Es ist aber auch wichtig, wie eine Gesellschaft unabhängig von den rechtlichen Grundlagen mit den Menschen umgeht. Ständiger Verdacht, Zuweisung von Schuld, Diskurse über, aber selten mit Geflüchteten – all das kann sehr belastend und zermürbend sein (vgl. Grawert 2018). Hinzu kommen möglicherweise psychische Belastungen oder sogar traumatische Erfahrungen, etwa von der Flucht.

Allerdings spielt auch die Situation im Herkunftsland eine Rolle. Folgende Fragen können beispielsweise bei Rückkehrenden auftreten: "Würde mir und meiner Familie Gefahr drohen, oder ist die Lage sicher?", "Wie wären die Chancen, erneut Fuß zu fassen?", "Gäbe es Unterstützung oder wäre ich auf mich allein gestellt?" Tatsächlich gibt es einen erheblichen Anteil der Rückkehrer*innen, die eine erneute Wanderung nicht ausschließen. Menschen, die keine Arbeit haben oder sich am Rückkehrort nicht sicher fühlen, sind eher bereit, das Land bzw. die Region wieder zu verlassen.

Bild von Rudy and Peter Skitterians auf Pixabay

Wichtig ist aber auch, sich klarzumachen, dass “Rückkehr in die Heimat” keinesfalls bedeutet, dass Menschen einfach zurückkehren und alles wäre wie zuvor. In der Realität ist es mehr als fraglich, ob eine Rückkehr an den genauen Heimatort im Herkunftsland überhaupt möglich ist, oder ob nur eine andere Region oder Stadt in Frage kommt. Und selbst wenn der Heimatort eine Option ist, hat sich dort in der Zwischenzeit natürlich Einiges getan: Neben enormer Zerstörung durch z.B. kriegerische Auseinandersetzungen können es auch weniger dramatische, aber dennoch entscheidende Neuigkeiten sein: Neue Geschäfte, neue Häuser, eine neuer Wohnort, neue Nachbarn, möglicherweise verzogene Familienmitglieder und Freund*innen, ein neuer Job (wenn überhaupt) und so weiter.

Achtung: Wie belastend all diese Faktoren für die jeweiligen Betroffenen sind, ist zu einem gewissen Teil subjektiv und kann sich von Mensch zu Mensch sehr unterscheiden − je nachdem etwa, welche psychischen Belastungen im Herkunftsland oder auf der Flucht entstanden sind. Wie Sie als Ehrenamtliche*r mit der Situation und Perspektive der Menschen umgehen, kann einen großen Einfluss auf sie haben. Ratschläge dazu erhalten Sie in den nächsten zwei Lektionen.

Rückkehr − wer denn, wie denn?


Grafik “Warum kehren Geflüchtete zurück?”, aus dem Ordner „Bildungsbrücken bauen – interkulturellen und psychosozialen Herausforderungen im Unterricht mit rückkehrinteressierten Geflüchteten kompetent begegnen“, S. 13

Insbesondere im Kontext einer Rückkehr von Menschen in ihr Herkunftsland kann die “Freiwilligkeit” dieser Entscheidung von ganz anderen Faktoren beeinflusst sein. Dazu gehören beispielsweise die langandauernde Unterbringung in Sammelunterkünften ohne Privatsphäre oder Perspektivlosigkeit mit Blick auf die eigene Situation. Keinen Job zu finden, nicht studieren zu dürfen, keinen Sprachkurs machen zu können − und nicht zu wissen, ob vielleicht jeden Moment sowieso der Abschiebebescheid kommt, können ebenso Faktoren sein, die die Entscheidung zu einer Rückkehr vorantreiben.


Sinnvoll erscheint deswegen erstmal eine Einteilung in die folgenden vier Aspekte:



Konkret ergeben sich daraus wiederum diese drei Möglichkeiten (vgl. Grawert 2018):


  • Abschiebung: Maximale Fremdbestimmung; jemand wird (meist) nachts und unter Gewaltanwendung in Abschiebehaft oder gleich zum Flughafen und dann außer Landes gebracht. Wenn irgendwie möglich, zu vermeiden!
  • Selbst organisierte Rückkehr: Jemand sucht sich selber eine Möglichkeit zur Rückkehr, organisiert das Geld und bucht z.B. den Flug selbst. Das ist mit dem höchsten Aufwand verbunden.
  • Unterstützte, freiwillige Rückkehr: Jemand wendet sich an eine staatliche oder nichtstaatliche, aber kooperierende Stelle, die ihn*sie bei der Ausreise unterstützt. Auch hier gibt es einen hohen Aufwand, etwa bei der Organisation der Papiere, aber es gibt finanzielle und organisatorische Hilfe, manchmal auch nach der Wiederankunft im Herkunftsland.

Folgende Tabelle stellt die aktuellen Zahlen bei Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen dar. Etwa 22.100 Menschen wurden im Jahr 2019 aus Deutschland abgeschoben. Mehr als 13.000 Menschen haben das Land nach vorläufigen Schätzungen im Rahmen des REAG/GARP-Förderprogramms verlassen.

Anfang 2018 sind insgesamt mehr als 10.000 Menschen zu einer Ausreise aus Deutschland aufgefordert worden. Davon sind 2.400 Menschen in andere EU-Länder ausgereist. Die Grafik zeigt, welche die wichtigsten Zielregionen außerhalb Europas sind und wieviele Menschen im ersten Quartal 2018 dorthin abgeschoben wurden.

Quelle: Atlas der Migration

In Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: “Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.”


Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen, das UNHCR, versteht seine Aufgabe dahingehend, dauerhafte Lösungen für geflüchtete Menschen zu finden. Und dies kann in einigen Fällen eben auch bedeuten, sie bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland zu unterstützen.

Selbst im Falle eines Abschiebebescheides, also der Pflicht zur Ausreise, kann die betroffene Person sich auf dieses Recht berufen und sich für eine “freiwillige” Rückkehr entscheiden. Vor diesem Hintergrund klingt auch das “Recht auf Rückkehr” erstmal unpassend − denn zu einem “Recht” sollte niemand gezwungen werden können. Und doch ist dieses Recht sehr wichtig für alle, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Denn es erlaubt der betroffenen Person, angesichts der zum Teil unmittelbar drohenden Abschiebung etwas Handlungsmacht zurückzugelangen.

Zum einen ist es natürlich immer vorzuziehen, nicht mitten in der Nacht aus dem Bett geholt und ins Flugzeug gebracht zu werden, zum anderen macht das eine Rückkehr für die zurückkehrende Person planbar. Und dieses Planen, so ergeben Studien, ist wohl der wichtigste Faktor in der Frage, ob es den Menschen gelingt, in ihrem Herkunftsland nach einer Rückkehr wieder Fuß zu fassen. Bei dieser Planung sollen die nächsten Lektionen helfen.


Rückkehr ist nicht gleich Rückkehr und von Zurückkehren kann eigentlich kaum die Rede sein. Wichtig, insbesondere aus der Perspektive derjenigen, die die Menschen in diesem Prozess unterstützen können: Sich so gut wie möglich vorzubereiten, ist das A und O. In der nächsten Lektion geht es darum, wer wiederum dabei beraten kann.

Weiterführendes Material



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Jannik Veenhuis hat Islamwissenschaften und Geschichte studiert und arbeitet als Referent und Moderator zu den Themen Migration, Integration, Islam und gesellschaftliche Debatten. Er war für den DVV und DVV International als Experte und Trainer an der Konzeption und Umsetzung der Lehrkräfte-Fortbildung „Bildungsbrücken bauen – interkulturellen und psychosozialen Herausforderungen im Unterricht mit rückkehrinteressierten Geflüchteten kompetent begegnen“ beteiligt. Für das im Rahmen des BMZ-Programms „Perspektive Heimat“ durch die GIZ geförderte Projekt „Bildungsbrücken bauen – Weiterbildung für Rückkehrer*innen“ hat er auf dem vhs-Ehrenamtsportal die Themenwelt „Rückkehr ins Herkunftsland“ erstellt.

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Rückkehr ins Herkunftsland

Haben Sie bereits Menschen bei ihrer Rückkehr unterstützt? Wie ist es Ihnen und den Rückkehrenden dabei ergangen? Welche Tipps haben Sie für Ehrenamtliche, die Geflüchtete bei der Vorbereitung der Rückkehr begleiten?